| Stefanie Schennerlein
Rezension - Konzert in der Taborkirche Leipzig am 05.02.2022
Erschienen am 06.02.2022 im Kulturteil der Leipziger Volkszeitung
Oper ohne Stimmen
Die Sächsische Bläserphilharmonie zeigte in der Leipziger Taborkirche eindrucksvoll, dass Oper auch ohne Gesang funktioniert.
„Oper könnte so schön sein, wenn nur das Gesinge nicht wäre“, sagt Peter Sommerer in seiner kleinen Auftaktmoderation. Das meint der künstlerische Leiter und Chefdirigent der Sächsischen Bläserphilharmonie natürlich nicht ganz ernst, bereitet das Publikum in der Taborkirche darauf vor, was sie erwartet: Oper ohne Worte. Kann das funktionieren? Die Nahbarkeit, Verletzlichkeit der menschlichen Stimme mit Instrumenten übersetzen?
Die 35 Musikerinnen und Musiker zeigen am Samstagnachmittag: Es funktioniert. Und zwar ganz grandios. Als grandios nützlich hat sich im Vorfeld erwiesen, dass das Orchester in der Coronakrise von anderen Krisen nicht zusätzlich aus der Bahn geworfen wird. Im ursprünglich geplanten Spielort, der Bethanienkirche, war die Heizung ausgefallen und Orchestermanagerin Barbara Venetikidou war es innerhalb weniger Stunden gelungen, die Taborkirche als Ersatz aufzutun.
Der mächtige Hall im hohen Kirchenschiff stellt eine Herausforderung für die Bläserphilharmonie dar, die Peter Sommerer routiniert am Pult meistert. Er dirigiert kompakt, präzise und hält den Klang zusammen, lässt ihn nicht ausfasern.
Wolfgang Amadeus Mozart ist der einzige Komponist im Potpourri, der nicht der Romantik entspringt. Die Ouvertüre zur „Zauberflöte“ kommt im Original zwar auch ohne Gesang aus – so weit so gewohnt – aber nicht ohne Streicherbesetzung. Die Bearbeitung von Siegmund Goldhammer trifft ins Schwarze. Die reine Bläserbesetzung mit einem einzigen Kontrabass betont den imposanten, mächtigen Klang und legt noch eine Goldschicht darüber. Das Holz lässt das Fehlen der Streicher im so charakteristisch tänzelnden Teil vergessen. Gewaltig ist das, was in den Tutti-Passagen durch das Kirchenschiff brandet und die Bänke zum Vibrieren bringt.
Noch interessanter wird es bei der Sopran-Bravourarie der „Zauberflöte“: „Der Hölle Rache“ der Königin der Nacht. Es singt die Trompete. Solist Linus Krimphove kreiert mit ausgefeilter Dynamik das herrische, kalte Wesen der Königin. Lyrisch in den Triolen und größtenteils unfallfrei in den anspruchsvollen Koloraturen.
Von Giuseppe Verdi hat die Sächsische Bläserphilharmonie Bearbeitungen zwei seiner berühmtesten Opern ins Visier genommen. Aus „Aida“ den Triumphmarsch, ein Heimspiel für die Trompeten. Prunk und Protz im Blech wechselt sich mit lyrischem Schmelz in den Klarinetten ab. Peter Sommerer brettert am Pult nicht durch die Forti, sondern achtet auf Nuancen, erlaubt sich das richtige Maß an Schwelgerei. Aus „La Traviata“ hat sich Will van der Beek einige Höhepunkte für eine Bearbeitung herausgepickt und schlüssig verschmolzen. Sanft getupfter Dreiviertel-Takt, ungeheure Agilität in den Flöten. Sommerer lässt seine Musiker machen und genießt.
„Nach so viel Tragik wechseln wir ins heitere Fach“, kündigt der Dirigent den virtuosen Höhepunkt an. Konzertmeister Gunter Brauer übernimmt am Englischhorn den Solopart in „Una Voce Poco Fa“ aus Rossinis „Barbier von Sevilla“. Schon die ersten Töne gelingen ihm ungemein sängerisch. Gefühlvolles und warmes Timbre, virtuos und leichtfüßig in den wirbelnden Koloraturen. Brauer tänzelt und galoppiert nicht durch die aufgewühlten Stellen, immer getragen von der Orchesterbegleitung.
Vom Barbier geht es weiter zu den armen Künstlerseelen: Christiaan Jansen lieferte die Bearbeitung eines „La Bohème“-Medleys von Giacomo Puccini. Wolkig leicht geht Sommerer die ruhigen Momente an, im Aufgewühlten stark nach vorne drängend und doch immer romantisch im Herzen. Zart und butterig weich gerät der Ausschnitt der Rodolfo-Arie „Che Gelida Manina“, schmerzhaft schön.
Sichtlich Spaß haben die Musikerinnen und Musiker an den aufgeweckten Stellen, am Weihnachtsgetümmel im Quartier Latin, wenn sich Spielzeugverkäufer Parpignol kaum vor dem Kinderansturm retten kann. Das Arrangement für Bläser funktioniert einfach, da muss Sommerer nicht viel nachhelfen. Mal zart in den Bewegungen, beinahe tänzerisch. Dann wieder groß und kraftvoll und doch immer klar.
Den überwältigenden Schlusspunkt setzt der Trauermarsch aus Wagners „Götterdämmerung“: Donnernd, drohend, endgültig und atemlos verhallend im Mezzopiano. Zu einer Zugabe lässt sich die Bläserphilharmonie angesichts der Begeisterung in den Bänken hinreißen: die beschwingte Polka aus Smetanas „Die verkaufte Braut“. Forsch, lebhaft und leichtfüßig.
Autor: Katharina Stork